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Soziale Arbeit
Praxisreferate müssen und können aufgrund von Hochschulen stehen. Luhmann beschreibt
ihrer Positionierung in der Organisation Hoch- in seiner frühen Systemtheorie, dass Grenzstellen
schule eine besondere Rolle in dieser didak- dann entstehen, wenn Organisationen über formal
tisch-curricularen Konzeptualisierung von definierte Grenzen verfügen, dabei die Darstellung
Studiengängen einnehmen, wie gezeigt wird. der Organisation nach außen „Gegenstand be-
sonderer Überlegungen und Leistungen“ (Luh-
Praxisreferate als Grenzstellen von Hoch- mann 1999: 220) ist und die Organisation eine
schulen Größe erreicht hat, durch die nicht jedes Mitglied
der Organisation in gleicher Weise Kontakt zu
Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Praxisäm- Außenstehenden hat (vgl. ebd.). Grenzstellen neh-
ter/-referate an Hochschulen für Soziale Arbeit men in diesem Kontext repräsentative Funktionen
(BAG) schlüsselt das Aufgabenprofil von Praxis- ein und vertreten die Organisation, die Fakultät,
referaten in ihrer Broschüre „Qualifizierung in Stu- den Studiengang in einem spezifischen Bereich.
dium und Praxis“ detailliert auf (vgl. BAG 2013). In gleicher Weise müssen Grenzstellen über die
Praxisreferate können dabei an ihren jeweiligen formalen Hierarchien der Organisation zur Außen-
Hochschulstandorten auf die infrastrukturellen vertretung legitimiert sein. Sie nehmen neben
und berufspolitischen Vorarbeiten der BAG zu- der repräsentativen Aufgabe allerdings auch die
rückgreifen und haben im Kontext ihrer Verortung Funktion eines Informationskanals von der Umwelt
an einer spezifischen Hochschule dann die Auf- in die Organisation ein. Luhmann beschreibt dies
gabe der Bearbeitung der Schnittstelle zwischen folgendermaßen: „Es kommt hinzu, daß sie [die
Hochschule und beruflicher Praxis: Grenzstellen] stärker als andere Posten Infor-
mationen aus der Umwelt ausgesetzt sind und
„Der durch die Bologna-Reform institutionalisierte dafür eine spezifische Sensibilität ausbilden. Sie
und curricular verortete Kontakt zwischen Hochschu- empfangen die Verhaltenserwartungen, welche
len und Berufspraxis im Kontext der Praxisorientie- die Umwelt an das System adressiert, sozusagen
rung und Praxisphasen fließt an der Schnittstelle der im Rohzustand und unverfälscht [...]“ (ebd.: 221).
beiden Lernorte in den Praxisreferaten und -ämtern Die Funktion dieses Informationskanals stellt dann
zusammen.“ (Roth/Gabler 2012: 25) sowohl ein sensibles Erfassen und gleichzeitig Fil-
tern von Erwartungen der Umwelt an das System
So stehen für Roth und Gabler im Zentrum des dar und fungiert als Antenne der Organisation, um
Aufgabenprofils der Praxisreferate und -ämter Umweltveränderungen zu registrieren und diese
vor allem die „Gestaltung, Steuerung und Quali- Informationen an die entsprechenden internen
tätssicherung der an dieser Schnittstelle ange- Stellen weiterzugeben. Nicht alle Umweltverände-
siedelten Prozesse zwischen (Fach)Hochschule rungen sind in gleicher Weise für die Organisation
und Berufspraxis“ (ebd.). Folgt man dieser Auf- relevant, nicht allen Verhaltenserwartungen kann
gabenbeschreibung, ergeben sich mindestens oder muss entsprochen und nicht alle Mitglieder
drei Blickrichtungen für Praxisreferate. Erstens der Organisation müssen und sollten in gleicher
müssen Praxisreferate in den Hochschulen, Weise mit den Erwartungen der Umwelt konfron-
denen sie formal angehören, die Ausgestaltung tiert werden. Insofern übernehmen Grenzstellen
von Studiengängen und didaktisch-curricularen Verantwortung bei der Perzeption der Umwelt
Konzepten der Theorie-Praxis-Relationierung und der Entscheidung darüber, welche Umwelt-
betreiben. Dabei sollten sie zweitens eine Sensi- veränderungen für die internen Prozesse von
bilität für die Rahmenbedingungen und Möglich- Bedeutung sind sowie intern kommuniziert und
keiten der beruflichen Praxis ausbilden, um die thematisiert werden sollten (vgl. ebd.: 224f.). Die
Gestaltung der studienintegrierten Lernprozesse Stellung am Rande der Organisation und die da-
in Praktika nicht gänzlich an den Bedarfen und mit verbundenen repräsentativen und perzeptiven
Möglichkeiten der Praxis vorbei aufzubauen. Aufgaben gehen für Luhmann mit der Schwierig-
Drittens könnte es die zentrale Aufgabe von Pra- keit gleichzeitiger Verpflichtungen in zwei Syste-
xisreferaten werden, das Wissen um Machbar- men (der Organisation selbst und den relevanten
keiten und die Sensibilität für interne Prozesse Kommunikationsadressen der Umwelt) einher, die
(Lernort Hochschule) mit der Sensibilität für die über „indirekte Hilfestellungen“ (ebd.: 229) der Or-
Umwelt der Hochschule (Lernort Berufspraxis) ganisation kompensiert werden können. Dies ge-
in Form einer lernortübergreifenden hochschul- schieht z. B. über gemeinsame Ausschüsse und
didaktischen Konzeption praktischer Studienan- Gremien, die Mitglieder der Organisation und ihrer
teile zusammenzubringen. Die theoretische Figur Umwelt enthalten, als auch über die Einrichtung
der Grenzstelle, wie sie von Niklas Luhmann eines gewissen Entscheidungsspielraums – einer
analysiert wurde, zeigt die besonderen Anforde- Elastizität des Entscheidens (ebd.: 231) – an den
rungen, vor denen Praxisreferate als Grenzstellen Rändern der Organisation.