Page 98 - HTW_25_Jahre_Forschung
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derum unter Mitwirkung einzelner Studierender Ebenfalls beachtenswert bei der Rekrutierung
Anfang 2015 statt. Innerhalb dieser auf Klärung, der InterviewteilnehmerInnen, wie aber auch
diskursive Vertiefung sowie Problempriorisierung später in den jeweiligen Interviewsituationen, ist
abzielenden moderierten Kleingruppen-Sitzun- der wiederkehrende, weit über alle Maße betonte
gen konnten die Ergebnisse der Datenauswer- Verweis nahezu aller Kontaktierten wie später
tung validiert werden. Befragten: „Also, wir haben keine Probleme mit
Migranten.“ Diese Aussage steht in deutlichem
Ausgewählte Ergebnisse Kontrast zu den in den Interviews offengeleg-
ten Beschreibungen von Pflegesituationen und
Die Pflege von MigrantInnen stellt für die Studi- Pflegeinteraktionen, die im Verlauf als sehr
enteilnehmerInnen bislang eher die Ausnahme schwierig, nicht zufriedenstellend oder be-
denn die Regel dar. Die befragten Pflegefachkräf- fremdlich geschildert werden. Besteht bei einem
te stimmen jedoch ausnahmslos darin überein, offenen Zu- bzw. Eingeständnis etwaig auftre-
dass sich diese Situation in den nächsten Jahren tender Probleme in der pflegerischen Versorgung
verändern wird, dass sie mit einem starken von MigrantInnen die Angst, sich dem Vorwurf
Anstieg der Inanspruchnahme bzw. Nachfrage der Fremdenfeindlichkeit ausgesetzt zu sehen?
nach Pflegedienstleistungen seitens Menschen Oder handelt es sich um ein auch bei zahlrei-
mit Migrationshintergrund rechnen. Auffällig ist chen anderen sozialen Berufen anzutreffendes
dabei jedoch, wie sehr eine antizipative Ausein- Phänomen, dass als schwierig empfundene
andersetzung mit den sich hieraus ergebenden Herausforderungen/Auseinandersetzungen mit
Veränderungen bzw. Herausforderungen für dem Gegenüber als Zeichen eigener mangelnder
die eigene pflegerische Arbeit bislang zum Teil Fachlichkeit missgedeutet werden? Warum ist
unterbleibt. Der allgemeine Tenor der befragten es den Pflegekräften in der Außendarstellung
Pflegefachkräfte lautet: „Ja, das ist wichtig.“ Aber: so wichtig, „keine Probleme mit Migranten“ zu
„Nein, da habe ich mir noch keine Gedanken zu haben?
gemacht.“ Im Rahmen der beruflichen Ausbildung
ist keine der befragten Pflegefachkräfte auf die Insgesamt verweist das erhobene Datenmaterial
Pflege von Menschen mit Migrationshintergrund, eindrucksvoll auf zahlreiche Herausforderungen,
auf die Herausforderungen und Bedingungen die sich den Interviewten bei der pflegerischen
einer kultursensiblen Pflege vorbereitet worden. Versorgung von MigrantInnen im Alltag stel-
Die Teilnahme an einer spezifischen Fort- oder len (beispielhaft genannt seien hier Grenzen
Weiterbildung stellt die absolute Ausnahme dar. der Kommunikation, Bedeutung von Scham
Demzufolge erhöht sich für die Pflegefachkräf- und Geschlecht, Ernährungsgewohnheiten,
te – und damit auch für die pflegebedürftigen Umgang mit Tod und Sterben, das Treffen auf
Menschen mit Migrationshintergrund – die ein traditionelles Rollenverständnis, differie-
Gefahr der Überforderung und Fehlversorgung im rende Pflegegewohnheiten etc.). Gleichzeitig
Moment des Eintretens der konkreten Pflegesi- verfügen die Pflegenden über ein vielfältiges
tuation. Bündel an Lösungsstrategien, die sie in der
konkreten Pflegesituation zum Einsatz bringen.
Welche Personen seitens der Pflegefachkräfte Zur Gewährleistung bzw. Ermöglichung einer
als Migrant(en) definiert werden, unterscheidet patientenorientierten, die wachsende kulturelle
sich innerhalb der Untersuchungsgruppe sehr Vielfalt der PflegeempfängerInnen zumindest in
stark voneinander. Neben der den Sachver- Teilen berücksichtigenden Pflege artikuliert das
halt nicht richtig wiedergebenden Stereotype Gros der Interviewten aber auch mit Nachdruck
„Migrant = Ausländer“ werden im Zusammen- konkreten Unterstützungsbedarf von außen.
hang von Menschen mit Migrationshintergrund
häufig Franzosen, Italiener, Türken, Russen und Einsatz des Forschungsprojektes im Rahmen der
Polen genannt. Auffällig ist jedoch, dass Men- wissenschaftlichen Nachwuchsqualifizierung
schen mit italienischer, spanischer und fran-
zösischer Herkunft zunächst nicht explizit ein Die aktive Einbindung von Studierenden in
Migranten-Status zugeschrieben wird. Und dies die verschiedenen Schritte des Forschungs-
selbst in den Fällen, wo eine Verständigung in der prozesses war ein zentrales Anliegen bei der
Pflegepraxis aufgrund der Sprache sehr schwer Entwicklung und Umsetzung des hier punktu-
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ist und mitunter zu Missverständnissen führt. ell vorgestellten Forschungsvorhabens. In der
97 praktischen Anwendung und partizipativen