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MINDSCAN steht dabei für den Verbund zweier   situationsabhängigen Vor- und Nachteilen. Das
            hochauflösender Elektroenzephalografen (EEG),   Programm „neurokybernetisches Hören“ unter-
            der eine Erfassung und Auswertung diverser Vi-  sucht die Möglichkeit einer Parameteranpassung
            talparameter in virtueller Umgebung mit Sound-  an die aktuelle Hörsituation mit Hilfe elektroen-
            feldern ermöglicht. Damit verknüpft MINDSCAN   zephalografisch messbarer Veränderungen der
            neueste Entwicklungen aus dem Bereich der   kognitiven Leistung (ATTENTIONAL MICROPHONE
            Brain-Computer-Interfaces, Virtual Reality und   Projekt; BMBF FKZ 03FH004IX5). Miniaturisier-
            der Audio- und Schnittstellentechnik. Die nach-  te Ableitelektroden könnten so in Zukunft die
            folgenden Forschungsprojekte geben einen kur-  Einstellung der Richtcharakteristik der Hörge-
            zen Überblick über den Einsatz des MINDSCAN   rätemikrofone an die Hörsituation des Patienten
            LABs seit seiner Einführung im Jahr 2014.   in Echtzeit übernehmen und so z. B. die Anstren-
                                                  gung beim aktiven Zuhören deutlich reduzieren.
            Einsatzfeld neurokognitive auditorische   Den Wissenschaftlern um Prof. Strauss gelingt
            Mensch-Fahrzeug-Schnittstellen        diese  „Gedankensteuerung“ der Hörhilfe durch
                                                  die Extraktion von Richtungskorrelaten und Indi-
            Die Integration von Sicherheits- und Assis-  katoren der kognitiven Last aus hochauflösenden
            tenzsystemen in Fahrzeugen ist in den letzten   EEG-Abbildungen. Das Anfang 2014 eingerichtete
            Jahren stetig gewachsen. Ebenso die Erwar-  MINDSCAN LAB ermöglicht den Wissenschaft-
            tungen der Autofahrer/innen an die  Informati-  lern diese hochauflösenden Messungen in
            onsverfügbarkeit und den Bedienkomfort. Doch   einer vielseitig anpassbaren und realitätsnahen
            welche Auswirkungen hat eine fortschreitende   Laborumgebung. In der klinischen Praxis gibt es
            Mensch-Fahrzeug-Kommunikation auf die   bislang noch kein objektives Korrelat zur Auswer-
            primäre Aufgabe des Fahrers, konzentriert und   tung der subjektiven Anstrengung beim aktiven
            sicher zu fahren? Technisch betrachtet ließen   Zuhören. Speziell über das neu entwickelte Maß
            sich bereits zahlreiche Konzepte umsetzen, um   der „Höranstrengung“ (sprich des messbaren
            auditorische Mensch-Fahrzeug-Schnittstellen   kognitiven Aufwands) könnte der Prozess der
            (AMFS) intensiver zu nutzen, doch das Wissen   Hörgeräteanpassung zeitnah objektiviert und
            über die Auswirkungen einer zunehmenden Inter-  das Hörgerät speziell an die Bedürfnisse des
            aktion zwischen Mensch und Fahrzeug ist noch   Patienten angepasst werden. Ein integriertes
            stark limitiert.                      virtuell-reality-Modul ermöglicht erstmals auch
                                                  die messtechnische Erfassung und Untersu-
            In einem vom BMBF geförderten Projekt schuf   chung objektiver Korrelate von audiovisuellen
            das Team um Professor Daniel Strauss erstmals   Eindrücken wie z. B. von Lippenbewegungen und
            eine neurokognitive Mess- und Simulationsum-  deren Einfluss auf die Höranstrengung. Das Pro-
            gebung, um Konzepte für proaktive und ressour-  jekt liefert damit nicht nur weitere grundlegende
            censchonende AMFS-Modelle zu entwickeln. Im   Erkenntnisse in der Hirn- und Hörforschung,
            Zentrum des Projekts steht die Entwicklung eines  sondern auch eine breitere Basis für die optimale
            neurotechnologischen Verfahrens zur objekti-  Anpassung von Hörhilfen in der klinischen Praxis.
            ven Erfassung des situativen Fahrerzustandes
            durch das Monitoring der Hirnaktivität mittels   Neben den oben skizzierten Projekten führt
            MINDSCAN unter kognitiver Last, d. h. während   Professor Strauss im MINDSCAN LAB eine Reihe
            Mensch und Fahrzeug über eine Schnittstelle in-  weiterer Untersuchungen durch, die den Rahmen
            teragieren. Dabei werden insbesondere räumliche  des vorliegenden Beitrags sprengen würden.
            AMFS-Architekturen, d. h. die gezielte direktiona-  Dazu zählen im klinischen Bereich u. a. Studien
            le Abbildung der akustischen Information sowie   zur binauralen Informationsverarbeitung bei Pa-
            verschiedene Informations- und Warnsignalklas-  tienten mit kompensierter einseitiger Ertaubung
            sen untersucht und optimiert.         und die Entwicklung von Therapiekonzepten
                                                  bei Tinnitus. Seit Ende 2014 beschäftigt er sich
            Das Projekt wird in direkter Kooperation mit   gemeinsam mit Wissenschaftlern des Leibniz-
            einem führenden deutschen Automobilhersteller,   Instituts für Neue Materialien (INM) mit der
            einem saarländischen AMFS-Spezialisten sowie   Wechselwirkung zwischen neuen Materialien und
            nationalen und internationalen wissenschaft-  dem Tastsinn des Menschen. Dabei werden Vor-
            lichen Partnern durchgeführt. Die Laufzeit des   gänge im Nervennetzwerk des Gehirns erfasst,
            Projekts ist bis Ende 2016 angesetzt.  während die Haut spezielle Oberflächenstruk-
                                                  turen ertastet. Die Ergebnisse liefern wichtige
            Einsatzfeld neurokybernetisches Hören   Informationen für zukünftige Mensch-Maschi-
                                                  ne-Schnittstellen, bei denen der Tastsinn zur In-
            Moderne Hörhilfen wie z. B. digitale Hörgeräte   formationsübertragung oder gezielten Auslösung
            oder Cochlea-Implantate erlauben aufgrund   von Reaktionen eine große Rolle spielt.
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            einer Vielzahl frei justierbarer Parameter eine
    173     Reihe von Anpassungsmöglichkeiten mit jeweils
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