Page 21 - HTW_25_Jahre_Forschung
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Generationen
Friedrich Klinger
„Man kann nichts Neues herausfinden, wenn man nicht vorher
eine Frage stellt. Um zu fragen, bedarf es des Zweifelns“, resü-
miert der US-Physiker und Nobelpreisträger Richard P. Feynman
die Voraussetzungen des Fortschritts und des Dazulernens.
Die Freiheit zu zweifeln trieb auch Friedrich Klinger an. Der
erfindungsreiche Maschinenbau-Professor und Pionier der
Windkrafttechnik stellte die Konstruktion gängiger Windkraft-
anlagen in Frage. Warum die Anlage nicht viel einfacher bauen?
Warum nicht das Getriebe weglassen? Klinger war seinerzeit
zur Begutachtung einer verunglückten neuentwickelten Wind-
energieanlage hinzugezogen worden und hatte danach ohne
Branchenkenntnisse einen Vorschlag zur Vereinfachung des
Maschinenkonzepts vorgetragen, das nur Kopfschütteln bei den
Verantwortlichen hervorrief. Mit studentischen Mitarbeitern
entwickelte sich daraus ein neues Konzept, der Direktantrieb,
also ein langsam laufender Generator, der ohne Zwischenschal-
tung eines Getriebes direkt mit dem Rotor verbunden ist. Sieben
Jahre Grundlagenforschung und die stetige Weiterentwicklung
der eigenen Ideen führten schließlich zur ersten getriebelosen
Anlage Genesys mit 600 Kilowatt Leistung im Jahr 1997. Drei
Jahre später gründen Mitarbeiter des Forschungsteams das
Vorgänger-Unternehmen der heutigen Vensys Energy AG (200
Mitarbeiter, weltweit rund 11.700 Anlagen; Jahresumsatz über
100 Millionen Euro). Klinger hat seit 1997 eine Reihe weiterer
getriebeloser Windenergieanlagen entwickelt, zuletzt mit einer
Nennleistung von 2.0 Megawatt. Längst stellte der Pionier
eindrucksvoll unter Beweis: Direktangetriebene Windmühlen
laufen nicht nur störungsfreier, sie haben auch einen geringeren
Wartungs- und Reparaturaufwand sowie geringere Produk-
tionskosten bei einem höheren Energieertrag. Entsprechend
arbeiten mehr als 50 % der neu in Deutschland installierten
Windenergieanlagen mittlerweile nach dem Prinzip der getrie-
belosen Technik. Für seine Verdienste erhielt der mittlerweile
achtundsiebzigjährige Emeritus im Jahr 2014 das Bundesver-
dienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepu-
blik Deutschland. Zeit, den eigenen Antrieb zu drosseln? Nicht
Professor Klinger: Der unkonventionelle akademische Lehrer
und Entwickler fährt täglich 20 Kilometer mit dem Fahrrad
zur Hochschule hin und zurück. Derzeit arbeitet er mit seinem
Forschungsteam am Konzept des Nabengenerators, dessen
Entwicklung mit 1,5 Millionen Euro vom Bundesumweltministe-
rium gefördert wird. Darüber hinaus entwickelt er Konzepte für
eine Off-Shore-Windanlage, bei der mehrere Rotoren an einem
Turm befestigt sind und somit eine Gesamtleistung von bis zu
20 MW erreicht werden können.
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