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Generationen

                                                             Friedrich Klinger



















                                                             „Man kann nichts Neues herausfinden, wenn man nicht vorher
                                                             eine Frage stellt. Um zu fragen, bedarf es des Zweifelns“, resü-
                                                             miert der US-Physiker und Nobelpreisträger Richard P. Feynman
                                                             die Voraussetzungen des Fortschritts und des Dazulernens.

                                                             Die Freiheit zu zweifeln trieb auch Friedrich Klinger an. Der
                                                             erfindungsreiche Maschinenbau-Professor und Pionier der
                                                             Windkrafttechnik stellte die Konstruktion gängiger Windkraft-
                                                             anlagen in Frage. Warum die Anlage nicht viel einfacher bauen?
                                                             Warum nicht das Getriebe weglassen? Klinger war seinerzeit
                                                             zur Begutachtung einer verunglückten neuentwickelten Wind-
                                                             energieanlage hinzugezogen worden und hatte danach ohne
                                                             Branchenkenntnisse einen Vorschlag zur Vereinfachung des
                                                             Maschinenkonzepts vorgetragen, das nur Kopfschütteln bei den
                                                             Verantwortlichen hervorrief. Mit studentischen Mitarbeitern
                                                             entwickelte sich daraus ein neues Konzept, der Direktantrieb,
                                                             also ein langsam laufender Generator, der ohne Zwischenschal-
                                                             tung eines Getriebes direkt mit dem Rotor verbunden ist. Sieben
                                                             Jahre Grundlagenforschung und die stetige Weiterentwicklung
                                                             der eigenen Ideen führten schließlich zur ersten getriebelosen
                                                             Anlage Genesys mit 600 Kilowatt Leistung im Jahr 1997. Drei
                                                             Jahre später gründen Mitarbeiter des Forschungsteams das
                                                             Vorgänger-Unternehmen der heutigen Vensys Energy AG (200
                                                             Mitarbeiter, weltweit rund 11.700 Anlagen; Jahresumsatz über
                                                             100 Millionen Euro). Klinger hat seit 1997 eine Reihe weiterer
                                                             getriebeloser Windenergieanlagen entwickelt, zuletzt mit einer
                                                             Nennleistung von 2.0 Megawatt. Längst stellte der Pionier
                                                             eindrucksvoll unter Beweis: Direktangetriebene Windmühlen
                                                             laufen nicht nur störungsfreier, sie haben auch einen geringeren
                                                             Wartungs- und Reparaturaufwand sowie geringere Produk-
                                                             tionskosten bei einem höheren Energieertrag. Entsprechend
                                                             arbeiten mehr als 50 % der neu in Deutschland installierten
                                                             Windenergieanlagen mittlerweile nach dem Prinzip der getrie-
                                                             belosen Technik. Für seine Verdienste erhielt der mittlerweile
                                                             achtundsiebzigjährige Emeritus im Jahr 2014 das Bundesver-
                                                             dienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepu-
                                                             blik Deutschland. Zeit, den eigenen Antrieb zu drosseln? Nicht
                                                             Professor Klinger: Der unkonventionelle akademische Lehrer
                                                             und Entwickler fährt täglich 20 Kilometer mit dem Fahrrad
                                                             zur Hochschule hin und zurück. Derzeit arbeitet er mit seinem
                                                             Forschungsteam am Konzept  des Nabengenerators, dessen
                                                             Entwicklung mit 1,5 Millionen Euro vom Bundesumweltministe-
                                                             rium gefördert wird. Darüber hinaus entwickelt er Konzepte für
                                                             eine Off-Shore-Windanlage, bei der mehrere Rotoren an einem
                                                             Turm befestigt sind und somit eine Gesamtleistung von bis zu
                                                             20 MW erreicht werden können.
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